Digitalisierung & Tourismus: Das Reise-Erlebnis wird digital
Wenn die Welt unsicher wird, liegt die “Flucht” ins Digitale nahe. Die Reisebranche wird gerade gezwungen, neue Lösungen zu finden, um das Fernweh der Menschen zu stillen. Wir hätten da ein paar Beispiele und Anregungen.

Digitales Reisen ist mehr als online buchen!
Welche langfristigen Veränderungen und Potenziale birgt Covid-19 für den Tourismus? In den ersten beiden Artikeln dieser Serie haben wir über Reisebedürfnisse von Individual- und Pauschaltouristen sowie kurz- bis mittelfristigen Reisetrends der nächsten Jahre geschrieben. Dieser dritte Artikel nun beschreibt den durch Corona beschleunigten Digitalisierungsschub der Tourismusbranche. Dabei geht es nicht um die Automatisierung von Buchungsprozessen, nein, wir meinen eine echte Digitalisierung des Reiseerlebnisses und welche Möglichkeiten sich daraus für die Branche ergeben.
Virtual und Augmented Reality – wichtig für die Digitalisierung im Tourismus
Würde man heute Leute befragen, was sie von Virtual Reality („virtuelle Realität“, kurz: VR) und Augmented Reality („erweiterte Realität“, kurz: AR) Erlebnissen als Ersatz für analoge Reisen halten, wären sich schnell alle einig: diese technologischen Hilfsmittel können nie das Adrenalin oder die Endorphine erzeugen, die wir bei echten Reisen spüren. Die Eindrücke, die Gerüche, die Gespräche mit Menschen, das alles wollen wir real vor Ort erleben — und nicht durch eine VR-Brille, die uns lediglich visuell an einen anderen Ort reisen lässt. Oder mit Hilfe einer AR-App, die den physischen Raum um grafische Informationen erweitert.
VR und AR aber deshalb bei der Entwicklung neuer Reiseformate zu unterschätzen, wäre kurzsichtig. Denn auch wenn etwas fehlt, so verfügen VR und AR über neue Möglichkeiten, die fundamentale menschliche Bedürfnisse adressieren. Insbesondere unter Corona-Bedingungen.
Wir setzen unsere Big-Data-Brille auf und skizzieren drei Szenarien, die auf der Analyse von 2,7 Mio. Forendiskussionen zum Thema Reisen basieren (eine ausführlichere Erklärung gibts hier im ersten Absatz).

1: VR sorgt für Entscheidungs-Sicherheit und macht Lust auf Reisen
Die meisten Menschen sind nicht nur Gewohnheitstiere, sondern auch Planungsfreaks. Die Analyse von über 33.000 Diskussionen zum Thema “Planen” zeigt ein zunehmend großes Bedürfnis von Urlaubern: Sie wollen schon vor Reiseantritt wissen, was genau sie im Urlaub erwartet.

„Ist es laut? Ist das Zimmer oder Bad sehr klein? Verfügt das Hotel auch über Betten in Extralänge? Wie groß sind der Schrank und die Kofferablage? Was gibt es beim Frühstück? Ist der Parkplatz auch für größere Fahrzeuge geeignet? Das will ich vor der Abfahrt alles wissen.“
Corona verstärkt das Verlangen nach Planung und Sicherheit
Corona verstärkt dieses Verlangen nach Planung und Sicherheit. Niemand will nach der Ankunft geschockt in einem engen Frühstücksraum stehen und denken: Wenn mich die Aerosole hier nicht erwischen, dann weiß ich aber auch nicht …
Also schnell jedes Hotelzimmer als „begehbare“ VR-Anwendung für viel Geld produzieren lassen? Das wird teuer. Einige Hotelketten backen da kleinere Brötchen und experimentieren mit 360-Grad-Touren, die einen Rundumblick ins Zimmer oder Foyer bieten. In der Immobilienbranche wird dieses Mittel schon länger eingesetzt. Und es lohnt sich: Laut einer Studie der amerikanischen Luxus-Hotelkette Omni Hotels erhöhen sich dadurch die Online-Buchung von Hotelzimmern um bis zu 67 %. Die Begründung: Menschen können sich anhand der Touren besser entscheiden. So haben sie das Gefühl, ihre finanzielle Investition besser abzusichern, während sich gleichzeitig ihre Vorfreude auf den kommenden Urlaub verstärkt.

Einen Schritt weitergedacht: Wie könnte denn ein echtes, immersives VR-Erlebnis als Urlaubsvorbereitung aussehen? Ist es ein Strandspaziergang am Reiseziel? Mit rauschenden Wellen im Hintergrund? Oder die Begehung des gebuchten AirBnB-Zimmers in Alaska?
Branchenriesen wie die TUI arbeiten bereits mit virtuellen Rundgängen und Ausflügen. Auch die Lufthansa testet VR im Vertrieb, Training und bei der Bord-Unterhaltung.
Die Technik solcher VR-Anwendungen wird jedes Jahr besser und Computer schneller. Einsatz und Angebot von VR-Anwendungen werden steigen. Denn VR befriedigt das Bedürfnis nach maximaler Vorausschau besser als alles andere — außer vielleicht dem echt Vorortsein 😉
Vorwissen intensiviert die Reiseerfahrung
Aber wenn sich die Leute schon vorher alles anschauen können, dann verlieren sie doch das Interesse am eigentlichen Urlaub! So könnten Bedenken lauten. Doch unsere Daten lassen eher darauf schließen, dass Vorwissen die eigentliche Reiseerfahrung noch intensiviert: Ein gut informierter Urlauber, der sich nicht erst um die Beschaffung zusätzlicher Kleiderbügel kümmern muss, kann wesentlich besser in die erhoffte Erholung, das Land und die Kulturen eintauchen. Und dadurch mehr aus dem Urlaub herausholen.
2: Hybride Reisen — das Beste aus analoger und digitaler Welt
Audio-Guides sind aus Museen und Sightseeing-Touren nicht mehr wegzudenken. Sie sind gewissermaßen die erste Form einer AR-Anwendung, die sich flächendeckend durchgesetzt hat. Das zeigen auch unsere Daten:

Audio-Guides: die erste Form einer AR-Anwendung
So ersetzen Audio-Guides als digitale Lösung die klassische Führung. Dazu geben sie Besuchern die Möglichkeit, die Geschwindigkeit und Route des Rundganges selbst zu bestimmen. Auch liefern sie unaufwendig eine Fülle an Hintergrundinformationen.

Zwar gibt es Audio-Guides schon seit 1952 und sie sind gewiss nicht der funky Shit, der die Reisebranche der Zukunft bestimmen wird. Doch mit neuen VR- oder AR-Anwendungen erklimmt das Konzept des Audio-Guides nun die nächste Entwicklungsstufe. Denn das Museums-Prinzip lässt sich natürlich auch auf andere Bereiche des Reiseerlebnisses übertragen. So entstehen neue Hybrid- oder Mixed-Reality-Reisen.
Selbstständig auf digitaler Städtetour: Das Konzept des Audio-Guides erklimmt die nächste Entwicklungsstufe
Bei AirBnB gibt es beispielsweise schon jetzt Gastgeber, die via Zoom Einblicke in die verschiedensten Bereiche ihrer Stadt oder ihres Landes geben. Angefangen bei der Entdeckung von Sangria Geheimnissen mit Dragqueens in Portugal oder einer virtuellen Stadtführung durch das London von Harry Potter bis hin zu einer virtuellen Geschichtstour mit einem Pestarzt durch das Prag im Jahre 1713.

Straßenzüge, Gebäude, Orte werden durch Augmented Reality und eine Reiseführer-Tonspur ergänzt. Eigentlich nichts Neues: Die Firma Tripventure hatte bereits 2012 ortsbezogene Games und Führungen im Angebot. Doch was sich bisher nur zäh durchsetzte, wird durch Corona einen Entwicklungsschub erhalten. Denn auf einmal können wir selbstständig auf digitale Städtetour gehen, neue Orte entdecken —ganz Social Distancing konform!
Und für alle, die AR-Anwendungen als Service für Kund*innen bereitstellen möchten, gibt es mittlerweile Anbieter wie Orpheo, die Audio-Guides, AR oder Führungen per Videoguide bauen.
Und was wollen die Reisenden alles sehen? Eine Menge:

Ob Schmetterlingsparks, Wasserpaläste oder den Mount Batur — das sind alles relevante Besichtigungsziele, die man sehen will, für die jedoch (auch das zeigen die Daten) oft zu wenig Zeit ist, um alle in der eng getakteten Reiseagenda unterzubekommen. Ganz anders in der virtuellen Version…
3: Gemeinsamer Kurzurlaub vom Sofa aus — inklusiv und nachhaltig
Neben der Entdeckung von Orten ist der Austausch mit Menschen das wohl wichtigste Element, das aus einem Urlaub eine unvergessliche Erfahrung macht. Speziell in der sozialen Interaktion scheint VR erstmal keinen sonderlich prickelnden Beitrag leisten zu können. Denn die Nummer mit der VR-Brille auf dem Kopf wirkt doch eher wie etwas für nerdige Einzelgänger.
Stippvisiten ohne Aufwand
Doch kombinieren wir versuchsweise verschiedene Elemente und Bedürfnisse zu einer ganz neuen Reisekategorie: Wie wäre es, wenn wir in Zukunft für eine digitale Stippvisite an Orte reisen könnten, die normalerweise nur mit langen, beschwerlichen Anreisen zu bewältigen sind? Wie zum Beispiel ein Trip zur Wüste Gobi in der südlichen Mongolei?

Die ersten Erste Schritte hin zu solchen neuen Reiseangeboten, die VR und sogar Gaming-Elemente kombinieren, gibt es bereits. Das Online-Magazin Mixed.de skizziert die Entwicklung schon in zahlreichen Artikeln über virtuelles Reisen. Seien es die seit Corona angebotenen virtuellen Museumsbesuche oder die Besichtigung von überlaufenen touristischen Hot Spots wie Machu Picchu.

Auch die Färöer Inseln verfolgen aufgrund von Corona einen innovativen Ansatz: Sie bieten Remote-Tourismus an. Da kann man von zu Hause aus einen Touristenführer individuell steueren, um sich Gegenden zeigen zu lassen.
Orte, die temporär oder langfristig nicht real besuchbar sind, bleiben so für den Neugierigen dennoch zugänglich. Abenteuer, die manchen am Ende vielleicht doch zu gewagt erscheinen, werden dem Interessierten von der Couch aus ermöglicht.
Reisen in Begleitung – ganz digital
Und noch einen Schritt weiter in die Zukunft: Wie wäre es, wenn wir jetzt auch noch die Möglichkeit hätten, einen Freund, der z.B. in London lebt, wie bei einem gemeinsamen Zoom-Call einzuladen? Auf zu gemeinsamen, verbindenden, digitalen Entdeckungen…. Die Virtual-Reality-Schamanin Sara Lisa Vogl lädt schon jetzt ein, ganze Tage mit ihr gemeinsam durch künstliche Welten zu wandern.
Fazit Digitalisierung Tourismus: Die wichtigsten Erkenntnisse
Digitale Appetizer für höhere Konversionsraten
Virtual-Reality-Anwendungen und 360-Grad-Touren als digitale Appetizer bieten einen Vorgeschmack auf den eigentlichen Urlaub. Schon jetzt führen solche Angebot zu höheren Konversionsraten bei der Buchung von Unterkünften.
Digitale Erlebnisse können analoge Reisen deutlich aufwerten. Augmented Reality ist die bevorzugte Technologie, die noch immer in den Kinderschuhen steckt. Aber sie bietet enorm viel Potenzial. Kombiniert mit Gaming-Aspekten entstehen so völlig neue Reiseformate.
Eine neue Barrierefreiheit, Klimafreundlichkeit inklusive
Je besser es gelingt, interaktive Elemente aus der Gaming-Industrie mit visuell starken VR-Erlebnissen und kreativem Storytelling zu kombinieren, desto mehr wird sich das große Potenzial dieser neuen Reiseformate zeigen: Erlebnisse, Orte und Abenteuer werden plötzlich für einen großen Teil der Bevölkerung zugänglich, der bisher aufgrund von körperlichen, monetären oder zeitlichen Einschränkungen nicht teilhaben konnte. Und das ganz ohne die Umwelt zu strapazieren. Digitalisierung im Tourismus führt so zu einem Win-Win-Win!
Anbieter, die VR-Erlebnisse auch in Gruppen komfortabel erlebbar machen, werden den Reisemarkt der Zukunft aufmischen.
Wer ist eigentlich dieses »wir«, das diesen Artikel verfasst hat? Wir sind Blood, Dadora und Dark Horse. Drei Agenturen, die kreative Innovationsentwicklung betreiben und leben. Für einige große Projekte bündeln wir unsere Expertisen: Dadora sammelt Daten und bereitet sie auf, Dark Horse entwickelt Konzepte für neue Produkte und Services und Blood setzt diese Konzepte um und bringt sie mit smarten Strategien in den Markt. Die Grenzen sind natürlich fließend. Alles geht Hand in Hand, von Anfang bis Ende. Wie bei einem dreiköpfigen Zerberus, aber in lieb.
Möchtest Du mit uns über Dein Thema sprechen und herausfinden, ob wir Daten, Hirnschmalz und Ideen haben, um Deine Probleme zu lösen, dann melde Dich gerne bei uns!